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Gedanken aus dem Pfarrbüro Dezember 2022 – Januar 2023

24. November 2022

Engel von marek studzinski on unsplash

Liebe Leserin, lieber Leser,

Es ist schon einige Jahre her, als unser Professor im Theologiestudium uns auf eine kleine Verschiebung der Prioritäten im Lukasevangelium aufmerksam machte. Ein feiner Unterschied mit frappanten Konsequenzen. Er liess uns die Verse Lukas 2,14 und Lukas 19,37 lesen und vergleichen.

Am Anfang des Lukasevangeliums erleben wir die Weihnachtsgeschichte: Mit Maria und Josef, der Volkszählung und der Geburt von Jesus in einer Futterkrippe. Dann die nächtliche Begegnung der Hirten mit den Engeln, die sprachen und sangen:

Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens (Lukas 2,14).

Bald ist es so weit und wir werden auch dieses Jahr nach vielen bewegenden Ereignissen das Weihnachtsfest feiern. Wir erinnern uns an das Geschenk der Geburt von Jesus Christus. Und dann werden wir auch das bekannte Lied singen, das den Text aus dem Lukasevangelium als Vorlage hat (die Nummer 175 in unserem Liederbuch): „Ehre sei Gott in der Höhe…“

Die Geschichte im Lukasevangelium geht aber weiter. Jesus Christus wird versucht, er tut Wunder, er heilt Menschen, versöhnt, gibt zu Essen, er weint, hat Mitleid und geht in der Auslegung der bekannten religiösen Gesetze sehr grosszügig um. Weil für Jesus immer der Mensch im Zentrum steht. Schliesslich zieht Jesus mit seiner Jüngerschar und seinen NachfolgerInnen nach Jerusalem. Sie begleiten ihn alle. Die, welche sein Handeln gesehen haben, seine Liebe zu den Menschen und die Entbehrungen, die Jesus dafür auf sich genommen hat. Dann tun sie etwas: Sie bereiten ihrem Rabbi und Meister Jesus einen glorreichen Empfang. Sie säumen applaudierend den roten Teppich, während Jesus auf einem Esel durch diese Allee von begeisterten Menschen reitet. Und sie sprechen und singen Worte, die uns sehr bekannt vorkommen aus der Weihnachtsgeschichte:

Lk 19,37: Gepriesen sei, der da kommt, im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe.

Was für eine ehrenvolle Geste hier organisiert und unternommen wurde für Jesus! Eines der wenigen Male, bei denen die NachfolgerInnen Jesu von sich aus aktiv werden. Wie eindrücklich der Evangelist Lukas hier mit zwei Liedern den Bogen schlägt vom Anfang der Geburt bis zum bevorstehenden Tod am Kreuz in der Hauptstadt Jerusalem.

Aber ist sie dir aufgefallen, diese kleine Verschiebung der Prioritäten in den beiden Liedern zur Ehre von Jesus?

Beim Einzug von Jesus in Jerusalem haben die Menschen die Welt und ihre Mitmenschen vergessen! Sie haben den „Frieden auf Erden“ in ihrem Lied einfach weggelassen!

Eigentlich tun diese Leute vor den Toren von Jerusalem ja nichts Schlechtes. Sie sind äusserst motiviert für Jesus! Und als die kritischen Pharisäer dem jubelnden Treiben Einhalt gebieten wollen, nimmt Jesus sie sogar in Schutz. Aber trotzdem haben diese ernsthaften Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus einen zentralen Aspekt der Lehre Jesu unterschlagen.

Das Leben als Christin und als Christ hat immer zwei Dimensionen. Einerseits die Vertikale: Das Lob Gottes. Dazu kommt aber zwingend die zweite Dimension, die Horizontale: Der Frieden und die Liebe für und zwischen den Menschen.

Wenn wir an Weihnachten singen „Ehre sei Gott in der Höhe“ kann es uns ein Aufruf sein, den zweiten Teil des Engelsliedes in unserem Alltag nicht zu vergessen: „und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“.

Auch ich habe vieles vergessen: aus meinem Theologiestudium zum Beispiel. Aber an diese Unterrichtsstunde werde ich mich noch lange erinnern. Es macht mir bis heute Freude, in der Bibel auch zwischen den Zeilen zu lesen und das wahrzunehmen, was nicht dasteht.

Herzliche Grüsse
Dave Jäggi