Gedanken aus dem Pfarrbüro Juni – August 2024
1. Juli 2024
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich kann mich gut daran erinnern, dass wir in meinem Elternhaus die Milch lange Zeit beim Bauern holten. Alle paar Tage schnappte sich jemand von uns die zwei 3-Liter «Milch-Chessi» und machte sich bergab auf den Weg. Alle waren irgendwann einmal dran, manchmal auch zu zweit, jedoch meistens allein.
Am liebsten ging ich im Sommer die Milch holen. Da war es abends nicht mehr zu heiss aber auch nicht zu kalt. Und die Wiesen, an denen ich vorbeikam, dufteten immer so fein nach Heu. Manchmal graste dort auch die Kuhherde des Bauern, so dass ich wusste: von irgendeiner dieser Kühe kommt nun unsere Milch.
Ein paar Mal kam es vor, dass ich in meinem Übermut physikalische Kräfte testen wollte und mich um die eigene Achse drehte, schneller und immer schneller. Dabei hob ich langsam meine Arme, so dass ich mit weit ausgebreiteten Armen die Chessi schwang, bis… ja, bis die Henkel nicht mehr hielten und die frische, leckere, weisse Flüssigkeit ihren Weg zurück in die Wiese fand. Schnurstracks drehte ich mich um und rannte regelrecht den Hang herunter, zurück zum Bauern, getrieben vor der Sorge oder Angst, was wohl die Eltern zu Hause sagen würden, wenn ich nur noch mit ein paar Tropfen ankam.
Im Winter ging ich sehr ungerne alleine Milch holen. Wenn kein Schnee lag, dann war es immer schrecklich dunkel. Und allein im Dunkeln unterwegs zu sein, ängstigte mich immer wieder. Ich ertappte mich oft, wie ich stehen blieb und mich umschaute. Fragt mich nicht, nach was ich mich umschaute… vielleicht nach Füchsen, Wölfen, vielarmigen Monstern oder weiss ich was. Immer wieder kam es auch vor, dass ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört. Mein Puls ging- und die Angst kam hoch. Ich blieb stehen und konnte nicht mehr weiter. Wie eine Salzsäule stand ich unbeweglich da. Wozu? Um zu hören, ob tatsächlich ein Geräusch da war? Ja und was, wenn da tatsächlich eines war? Aber womöglich gaukelte mir meine Fantasie auch einfach die schrecklichsten Bilder vor, die sich in Wahrheit als Schatten von Sträuchern, Bäumen und Katzen erwiesen…
Nachdem mir dies ein paar Mal passierte, fing ich an, vor mich hinzusummen, später zu singen. Es war immer dasselbe: Grosser Gott, Jesus Christus, lass mich nicht alleine; hilf mir und bring mich sicher nach Hause.
Das half! Die Angst war zwar immer noch da, sie verschwand nicht, aber ich stand ihretwegen nicht mehr still. Dieses Lied (oder Gebet?) half mir, mich zu erinnern und darauf zu vertrauen, dass Gott da ist, mit mir geht und es gut mit mir meint. Es gibt so viele Dinge, die uns in unserem Alltag Angst machen. Die nächste Mathe-Prüfung, ein Gespräch mit dem Chef, eine Begegnung mit Fremden, die Diagnose beim Arzt, Veränderungen in unserem gewohnten Umfeld usw.
Dass wir in solchen Situationen Angst empfinden können, ist eine Tatsache; die lässt sich wohl nicht oder nur schwer ändern. Die für mich wichtige Frage in dieser Situation ist, wie gehe ich damit um: Bleibe ich wie erstarrt stehen? Fliehe ich und entziehe mich damit der Situation? Stelle ich mich und suche nach Möglichkeiten?
Ich finde es tröstlich, dass Jesus selbst Angst empfunden hat. Im Garten Gethsemane wird diese deutlich und von ihm ausgesprochen: «Ich bin verzweifelt und voller Todesangst» spricht er zu seinen Begleitern. Danach wendet er sich im Gebet an Gott. Drei Mal «flieht» er im Gebet zu Gott.
Ob ihm die Angst wohl genommen wurde? Darüber könnte ich nur spekulieren. Tatsache scheint aber, dass er Mut fasste und weitere Schritte tat.
Nach dem biblischen Zeugnis sprach er selber mehrmals Worte wie fürchte dich nicht, hab keine Angst, ich bin bei dir. Ja, wenn wir in der Bibel lesen, dann finden wir über 300-mal Worte wie diese. Über unglaubliche 300- mal!
Selbstredend, dass wir trotzdem Angst empfinden. Doch kann dies zu einem «MachtWort» werden und uns aufrichten; uns bewusst machen, dass Gott über dem Bedrohlichen steht und Jesus den Weg durch die Angst hindurch ging – und so auch uns durch diese hindurch begleitet. «Hab keine Angst! Ich bin bei dir!» spricht er uns zu.
Wenn ich mich so an meine Milch-Touren, meine Angst und an das Lied zurückerinnere, dann scheine ich damals wohl vieles richtig gemacht zu haben: betend, bittend und vertrauend mutig Schritte wagen. Ganz nach dem Motto «Mut ist Angst, die gebetet hat».*
Eine gesegnete Zeit wünscht euch
* Corrie ten Boom, Retterin verfolgter Juden